Lerntagebuch

student’s learning journal by Matthias L. —

Eine zentrale Rolle im Weltbild der Physik spielte über Jahrhunderte das Experiment. So verschieden die Experimente auch waren, ihnen allen gemein war, dass sie einen Messwert lieferten, welcher mit Hilfe von theoretischen Werkzeugen plausibel gemacht werden konnte (z.B. Modelle). Manche Messergebnisse bestätigten Modelle, manche widerlegten sie und wieder andere erweiterten die Modelle. Im Laufe der Jahre schien man sich mehr und mehr daran zu gewöhnen, Messwerte zu verstehen, sie also in den Einklang mit Modellvorstellungen und Theorien zu bringen. Der vom Baum fallende Apfel stellt ein eindeutig beschreibbares Problem dar, welches keinen Anlass zur Interpretation bietet, vom Schmerz des Betrachters einmal abgesehen, der den Apfel auf den Kopf bekommt. Manch ein Physiker ging davon aus, die Physik sei schon komplett erforscht, was in etwa dem Sinneszustand eines Rentners gleicht, der ein Nickerchen in seinem Garten hält. Auch dieser mag es vielleicht nicht, wenn schräg gegenüber ein Kindergarten gebaut werden sollte. Viel zu laut, zu viel Gewusel und überhaupt ist es für die Umwelt bestimmt nicht gut, ja, ja! Ein ähnliches Schicksal erfuhr die Physik Anfang des 20. Jahrhunderts, als man mit dem klassischen Weltbild nicht mehr in der Lage war, den Doppelspaltversuch oder das Experiment nach Stern und Gerlach zu verstehen (Vorlesung vom 17. Nov 2016).

Das Modell Massepunkt, welches der Rentner jahrelang schätzte, wich nun einem trubeligen Kindergarten, mit kaum vorstellbaren Vorgängen und Zuständen, welche ich als Quantenmechanik bezeichnen möchte. Vieles an ihr gleicht den kleinen Kindern, sie ist noch relativ jung, quirlig, lebendig und hat noch eine große Zukunft vor sich. Welche genau, das bleibt ungewiss, man kann sie nur mit Wahrscheinlichkeiten angeben, was eine gute Überleitung für ein mächtiges Instrument der Quantenmechanik ist, nämlich die Wellenfunktion. Erst mit ihr ist es möglich, Konzepte wie z.B. den Welle-Teilchen Dualismus zu beschreiben, obwohl hier ein Bruch mit den etablierten klassischen Vorstellungen der Physik vorliegt. Die Quantenmechanik ist der Versuch, Situationen zu beschreiben, zu denen unsere Sinne keinen Zugang haben. Dies führte Feynman zu der Aussage, dass man die Frage nach der Zufälligkeit der Quantenmechanik besser vermeide. Vor diesem Hintergrund scheint es vernünftiger, dem Konzept des „shut up and calculate“ zu folgen (17. Nov 2016), was am Beispiel des Doppelspaltversuches veranschaulicht werden soll.

Elektronen und andere Quantenteilchen verhalten sich anders, als wir es von uns bekannten Objekten erwarten würden (z.B. einem Apfel). Sie besitzen nicht nur Teilcheneigenschaften (Auuaa!), sondern verhalten sich zusätzlich auch wie eine Welle. Wird nun ein Elektronenstrahl auf eine Blende mit zwei schmalen und parallelen Spalten gerichtet, passieren die Elektronen diese und hinterlassen auf der dahinterliegenden Fotoplatte gut lokalisierbare Punkte. Wenn man nun das Teilchenmodell zu Grunde läge, würden sich hinter den beiden Spalten je ein Häufchen bilden, je nach dem, durch welchen Spalt die Elektronen geflogen sind. Doch dem ist nicht so. Elektronen hinterlassen in der beschriebenen Versuchsanordnung ein strukturiertes Muster, welches aus Streifen von unterschiedlicher Intensität besteht, ganz wie man es von der Interferenz von Wasserwellen kennt. Dieser Welle-Teilchen Dualismus ist in der klassischen Physik das, was lange die Oscarverleihung für Leonardo DiCaprio war. Erst die quantenmechanische Betrachtungsweise nach Heisenberg und Schrödinger lieferte mit neuen Werkzeugen weniger widersprüchliche Aussagen. Man definiert ein quantenmechanisches System mit einer Messgröße, die erst zum Zeitpunkt der Messung einen scharf definierten Wert hat (Kollaps der Wellenfunktion). Vorher kann die Messgröße durch Überlagerung von möglichen Zuständen vorliegen. Auf den Doppelspaltversuch bezogen erklärt sich das Interferenzmuster als eine Abbildung der Wellenfunktion, wenn der genaue Weg der Teilchen nicht eindeutig ist. Die Wellenfunktion des Systems ist dann die Summe der Wellenfunktionen der beiden Teilsysteme, also der beiden Spalte, was zu der Überlagerung führt. Misst man nun die Position der Elektronen, indem man einen Spalt verschließt, so kollabiert die Wellenfunktion auf eines ihrer Bestandteile und es tritt kein Interferenzmuster mehr auf.

In diesem Zusammenhang wurden in der Vorlesung erste Berührungspunkte mit Veröffentlichungen von Zurek gemacht, welche die Dekohärenz beschreiben (01. Dez 2016). Dieses Phänomen beschreibt den Verlust der Möglichkeit zu interferieren, bedingt durch den Austausch von Informationen und Energie zwischen dem System und seiner Umgebung. Zurek beschreibt quantenchaotische Systeme, bei denen es zunächst hilfreich ist, sie vorher zu definieren (man denke an den Kindergarten). Ebenfalls kam ich mit der Katze eines Herrn Schrödingers in Kontakt, deren Schicksal ich aus Gründen des Tierschutzes in keiner Schule ansprechen würde, die sich näher als 10 km an einem Öko-Bio-Supermarkt befindet.

Im weiteren Verlauf wurden in der Vorlesung das EPR-Experiment und die Bellschen Ungleichungen präsentiert (12. Jan 2017). 1935 legten Einstein und seine beiden Studenten Podolsky und Rosen ein Gedankenexperiment vor, welches die Quantenmechanik mit ihren eigenen Aussagen widerlegte. Sie benutzen drei Prämissen (Lokalität, Realität und Vollständigkeit), welche von der klassischen Theorie erfüllt werden. Nachdem Bell 1964 mit seiner Ungleichung eine Möglichkeit aufzeigte, mit deren Hilfe man Vorhersagen der Quantentheorie testen konnte, war es möglich zu zeigen, dass die Quantentheorie als eine vollständige Theorie anzusehen ist, mit dem Preis, dass sie „nichtlokal“ ist.

Weiterführend wurde die Quantenverschränkung besprochen, eines der seltsamsten Phänomene der Quantenphysik (19. Jan 2017). Gemäß der normalen Quantentheorie besitzen Teilchen keinen eindeutigen Zustand, man kann ihnen nur relative Wahrscheinlichkeiten zuordnen, dass sie sich in dem einen oder anderen Zustand befinden. Erst wenn eine Messung stattfindet, fallen plötzlich die Würfel, und das Teilchen nimmt entsprechend der Wahrscheinlichkeiten den einen oder den anderen Zustand an. Noch abstrakter geht es zu, wenn zwei Teilchen miteinander wechselwirken, dann sind ihre individuellen Wahrscheinlichkeiten nicht mehr unabhängig voneinander, sie sind verschränkt.

Mit einer weit verbreiteten Interpretation der Quantenmechanik wurde eine weitere Sitzung bestritten (26. Jan 2017), nämlich der „Viele-Welten-Interpretation“ nach Everett. Die vorherrschende Lehrmeinung zu Everetts Zeiten war die Kopenhagener Interpretation. Sie beinhaltet als wesentliches Merkmal den Kollaps der Wellenfunktion. Für die Zeitentwicklung eines Systems bestehen zwei Möglichkeiten. Einerseits kann dies auf kontinuierliche Art erfolgen, der Schrödingergleichung gehorchend, oder andererseits diskontinuierlich über eine Messung. Wie schon erwähnt, kollabiert die Wellenfunktion in einen Eigenzustand des Messoperators. Hier ist es notwendig, das betrachtete Gesamtsystem in einen klassischen und einen quantenmechanischen Bereich zu teilen, denn erst wenn ein Messergebnis mit klassischen Begriffen beschreibbar ist, kann es als Ereignis gesehen werden, welches eindeutig ist.

Dies lässt uns versöhnlich zu unserem Rentner und seinem Garten zurückkehren. So sehr sein Ruhebedürfnis von dem Kindergarten an seinem Grundstück mit dem Lärm strapazieren wird, so gibt es eventuell auch die Möglichkeit, das ein oder andere Mal seinen Enkel von diesem abzuholen und einen netten Nachmittag zu verbringen, z.B. einen Apfelbaum zu pflanzen. Die Quantenmechanik kommt trotz aller Komplexität ohne klassische Begriffe und Konzepte nicht aus, da unser Alltag und die konkreten experimentellen Befunde durch diese geprägt sind.

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